Erst roh, dann brav
Im ausverkauften Tempodrom zähmt der Pferdeflüsterer Monty Roberts Madonna, Trixi und andere
VON IMKE SCHRIDDE

Die erste Ernüchterung: Der so genannte Pferdeflüsterer flüstert gar nicht. Und die zweite: Er ist auch kein in sich gekehrter meditativer alter Mann, sondern ein vitaler wohlbeleibter 69-Jähriger, der den Applaus liebt, das Publikum im ausverkauften Tempodrom grandios unterhält und immer wieder in die Runde ruft: „It's so much fun!" Es macht solchen Spaß!
Monty Roberts steht in der Mitte der eingezäunten Manege und wirkt wie ein stolzer Zirkusdirektor aus dem Wilden Westen. Nacheinander lässt er sich vier Problempferde in den Zirkel bringen und bezähmt jedes von ihnen in kaum mehr als einer halben Stunde. Da ist Madonna aus Kiekebusch bei Schönefeld. „Sie ist noch völlig roh", sagt ihre Besitzerin Samantha Giese, Studentin aus Potsdam. Das heißt, die Stute ist noch nie geritten worden, geschweige denn hat sie einen Sattel auf dem Rücken oder Zaumzeug im Gebiss gespürt.
„Zunächst bitte ich Madonna jetzt, weiter wegzulaufen", spricht Roberts in sein Mikrofon. Richtig weit weg geht hier, in Roberts so genanntem round pen, nicht. Aber das gehört zu Roberts gewaltloser Erziehungsmethode. Madonna galoppiert am äußersten Rand der Manege entlang. Wenn die Hufen an den Gitterzaun schlagen, scheppert es laut durchs Tempodrom. Roberts plustert sich auf, kerzengerade dreht er sich um sich selbst, seine rechte Hand hält er gespreizt in die Höhe. Nachdem er das Pferd einige Minuten von sich weggescheucht hat, gibt er im entscheidenden Moment Entwarnung - wenn das Pferd ihm signalisiert, dass es nichts als Sicherheit will. Roberts senkt seine Hand, das Pferd 

seinen Kopf und trottet nun dem Leittier Roberts brav hinterher. Dies ist das von Roberts entwickelte Join-Up-Prinzip, das am Anfang einer jeden Bezähmung steht.
Der Kalifornier artikuliert nun -wie bei der TV-Serie Mister Ed - die Gedanken des Pferdes laut: „Hey Mister Roberts, bitte nicht den Sattel auflegen. Hab von meinem Onkel eh den Tipp bekommen, ihn immer wieder runterzuschmeißen." Das Publikum lacht, während sich die Pferd-Roberts-Kommunikation von den Zuschauer fast unbemerkt weiter entwickelt. Am Ende bleibt sogar Roberts Cowboy-Assistent einige Runden im Sattel sitzen. Binnen kürzester Zeit also ist die wilde Madonna eingeritten. Die Besitzerin jedoch wird nicht auf ihr Pferd gelassen. Eine einzige falsche Bewegung könne das Pferd wieder verunsichern, sagt Roberts. Der Reiter müsse nun kontinuierlich mit seiner Methode weiter arbeiten - wie Roberts sie in seinem Buch „Der mit den Pferden spricht" beschreibt.
Der Höhepunkt des Abends ist das Pferd namens Trixi. „Seit zehn Jahren hat sie sich in keinen Anhänger mehr getraut", erzählt die Besitzerin Daniela Herrmann. Nach sieben Stunden vergeblichen Versuchens hatte Roberts das Pferd für die Show selbst abholen müssen. Und auch vor mehr als 3 000 Pferdeliebhabern überwindet Roberts die Hürde, indem er das Tier zunächst immer wieder bewusst zurückstößt. „Wie Kinder wollen auch Pferde meist gerade das, was wir nicht wollen", sagt er. Großes Gelächter. In seinem Buch „Das Wissen der Pferde" überträgt Roberts seine Methode nun auf Menschen: auf die Kindererziehung sowie auf den Umgang mit Angestellten.
Aus: Berliner Zeitung, Nummer 150, Montag, 7.Juni 2004